EDITORIAL Finanzinvestoren in der Radiologie – wer bestimmt die Zukunft unserer Praxen?
Donnerstag, 30. September 2021
Info 10-21

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Entwicklung, dass finanzstarke Investorengruppen in die Medizin drängen, lässt sich in der Labormedizin und bei den Dialysezentren bereits seit mehr als 20 Jahren beobachten. Als weitere Facharztgruppen wurden im Verlauf Augenärzte und Zahnmediziner von dieser Entwicklung erfasst. Seit etwa vier Jahren schließlich ist ein zunehmendes Vordringen derartiger Finanzierungsformen auch in der Radiologie und neuerdings auch der Pathologie festzustellen. Hinter dieser Entwicklung stehen zum einen Investionsfirmen, die sich in der Medizin Möglichkeiten zur Geldanlage mit höheren Renditen erhoffen als derzeit auf dem Geldmarkt realisierbar. Zum anderen interessieren sich medizinische Großkonzerne für die Radiologie, um durch ein möglichst komplettes Angebotsspektrum Marktanteile in toto zu gewinnen. Was im stationären Sektor seit vielen Jahren bekannt ist hat somit inzwischen auch die ambulante Patientenversorgung erreicht.

Für die Radiologie heißt das, dass in der Form von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) versucht wird die im Vergleich zu anderen Facharztgruppen höheren Umsätze zur Erreichung relevanter Gewinnmarchen zu nutzen. Hintergrund dabei ist die Vorstellung durch Effizienzsteigerungen im großen Stil die Kostenquote zu senken. Allerdings wird dabei häufig übersehen, dass die radiologischen Praxen in Deutschland bereits heute über sehr effiziente Organisationsstrukturen zur Kostenreduktion verfügen und damit an der Belastungsgrenze arbeiten. Eine zusätzliche Beschleunigung hat diese Entwicklung durch zwei in den letzten Jahren zu beobachtende und miteinander thematisch verbundene Aspekte erhalten. Zum einen sind die politischen Rahmenbedingungen in der Radiologie, wie in weiten Teilen der Medizin, zunehmend unsicher und die Zukunft damit immer weniger planbar. So stellen sich viele vor der Niederlassung stehende Kolleginnen und Kollegen die Frage inwieweit der hohe Investitionsbedarf beim Einstieg in eine Praxis für sie vertretbar und der Marktwert in der Zukunft kalkulierbar sind. Nicht zuletzt diese Aussichten führen zu immer mehr kurz- oder auch langfristigen Anstellungsverhältnissen anstatt des direkten Einstiegs in eine Praxis. Unmittelbare Folge hiervon ist die Schwierigkeit Praxisanteile von Arzt zu Arzt zu übergeben. Ein unkomplizierter Verkauf an einen Investor hat demgegenüber vordergründig Vorteile.
Die potentiellen Folgen einer derartigen Entwicklung sind immens. Finanzinvestoren interessieren sich weniger für die radiologische Leistung als vielmehr für die zu erzielende Rendite. Dies führt, ähnlich wie das aus dem stationären Bereich bekannt ist, durch Selektion zum Verschwinden geringer vergüteter Leistungen aus dem diagnostischen Spektrum und damit einer erheblichen Verschlechterung der allgemeinen Versorgungsqualität. Warnende Beispiele hierzu gibt es im ambulanten Bereich in der Zahnmedizin. Für die großen Medizinkonzerne steht das Gewinnen von Marktanteilen und  weniger die radiologische Leistung im Vordergrund. Folgen hiervon sind eine marktbeherrschende Stellung einzelner sogenannter Portalpraxen mit allen Nachteilen monopolistischer Strukturen. Gefördert wird dies durch die Möglichkeit der Großkonzerne aufgrund der dann verfügbaren Datenfülle auch im Bereich der KI-gestützten Assistenzsysteme entscheidenden Einfluss zu gewinnen.

Wie also dieser Entwicklung entgegenwirken zumal die gesundheitspolitisch Verantwortlichen derartigen pekunier getriebenen Strukturen nicht ablehnend gegenüber stehen? Im Vordergrund aller Überlegungen und Argumentationen muss die patientenorientierte Versorgung stehen. Die hierzu erforderliche hohe diagnostische Qualität kann in der ambulanten Radiologie nur durch die inhabergeführte Praxis oder das ärztlich geleitete MVZ auf Dauer gewährleistet werden. Der häufig gehörte Satz „Ohne Investoren gibt es keine Zukunft in der Radiologie“ ist so sicher nicht richtig. Im Gegenteil, jeder im Rahmen der Renditemaximierung an Finanzinvestoren ausgeschüttete Euro fehlt dem Gesundheitswesen als Ganzes und damit der Solidargemeinschaft. Vermehrte Anstrengungen zu Kooperationen, auch sektorübergreifend, sind erforderlich. 

Der BDR als Vertretung aller Radiologinnen und Radiologen in Praxis und Klinik sieht dies als eine seiner zentralen Aufgaben und steht dafür bereit.


Prof. Dr. Hermann Helmberger
München