EDITORIAL TSVG – auf der Suche nach Rationalisierungsreserven
Donnerstag, 02. August 2018
Info 08-18

Sehr geehrte Mitglieder,

ein enges Zeitkorsett hat das Bundesministerium für Gesundheit sich und den gesundheitspolitischen Verbänden da verpasst. Das Schreiben, der Referentenentwurf, betitelt mit „Entwurf eines Gesetzes für schnellere Termine und bessere Versorgung (Terminservice- und Versorgungsgesetz – TSVG), erreichte uns am 24. Juli mit einer Frist für die Stellungnahme zum 17. August. Die Stellungnahmen der Verbände werden dann im BMG verarbeitet und vielleicht sogar auf der Homepage des BMG veröffentlicht, falls man bei der Übersendung nicht ausdrücklich widerspricht. Der Entwurf  wird dann, wiederrum auf Einladung des BMG, am 22.August in einer 5-stündigen „Erörterung“ in Berlin, im Besucher- u. Schulungszentrum von Karl Storz, vorgestellt.

Aber worum geht es im TSVG?

Einerseits werden populäre und medienwirksame Themen gelistet, andererseits strukturelle Veränderungen des Gesundheitswesens weiter vorangetrieben.

Einige Beispiele:

Die Terminservicestellen (TSS) sollen weiterentwickelt werden – das BMG zeigt auf, wie Digitalisierung funktioniert. Termine sind nicht nur telefonisch, sondern auch online, gar per App, buchbar.

Mindestsprechstunden – Erhöhung von 20 auf 25 Stunden, Arztgruppen der unmittelbaren und wohnortnahen Versorgung müssen mindestens 5 Stunden ohne Terminvergabe als „offene Sprechstunde“ anbieten.

Sprechstundenvergütung – geplant ist eine extrabudgetäre und zusätzliche Vergütung für die erfolgreiche Vermittlung eines dringlich notwendigen Behandlungstermins durch den Hausarzt zum Facharzt. Steht zu befürchten, dass Sie jetzt viele Freundschaftsanfragen von Hausärzten erhalten? Besser vergütet soll aber auch die Behandlung von neuen PatientInnen werden, ebenso die Akut- und Notfallbehandlung.

Das trifft auf alles auf die Radiologie nicht zu?

Weit gefehlt, denn: ebenfalls soll mit dem TSVG die (erneute) Überprüfung und Aktualisierung des einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen hinsichtlich der Bewertung technischer Leistungen zur Nutzung von Rationalisierungsreserven zur Förderung der „sprechenden Medizin“ erfolgen.

Alle Bemühungen des Referentenentwurfs dienen selbstverständlich der Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung, Strukturfonds der KVen werden verbindlicher, größer und im Verwendungszweck flexibilisiert und künftig für alle KVen verpflichtend. Die Eigeneinrichtungen der KV werden enger überprüft.

MVZs stehen im Fokus des Entwurfs: Es soll keinen Zulassungsentzug nach Ausscheiden (z.B. aus Altersgründen) aller Gründer eines MVZ geben, wenn angestellte Ärzte Gesellschafteranteile übernehmen, solange sie im MVZ tätig sind. Klargestellt wird, dass eine Trägergesellschaft auch mehrere MVZ tragen kann, und dass die im Gesetz für den Fall einer MVZ-Zulassung als GmbH genannten Sicherheitsleistungen gleichwertig und optional nebeneinander stehen. Zur Sicherstellung der Versorgung soll das Potential anerkannter Praxisnetze weitergehend genutzt und diesen die Möglichkeit gegeben werden, in unterversorgten Regionen MVZ zu gründen.

KZBV-Chef Dr. Wolfgang Eßer äußerte sich vor kurzem erstaunlich offen zur MVZ-Thematik: Der Ausverkauf medizinischer und zahnmedizinischer Versorgung an Geschäftemacher und Spekulanten schreite ungebremst voran, Großinvestoren und Private Equity-Fonds hätten bereits große Leistungssegmente in Kliniken und in der humanmedizinischen Versorgung übernommen. Dabei seien deren einzige Ziele, Gewinn und Rendite zu maximieren.

Zu den Themen Arzneimittel, Pflegeversicherung, Gesundheitsschutz, Mitgliedschafts-u. Beitragsrecht, Leitungsrecht in der Krankenversicherung etc. gibt es weitere Überlegungen – lesen Sie selbst: den Referentenentwurf finden Sie auf unserer Webseite – der BDR arbeitet ebenfalls an der vom BMG erbetenen Stellungnahme, in der September-Ausgabe werden wir dazu weiter informieren.

Nach getaner Arbeit ging Jens Spahn zur Premiere von Lohengrin nach Bayreuth. Aber so wie auch die Inszenierung mit dem Bühnenbild von Neo Rauch vergleichsweise verhaltenen Applaus erhielt und nicht als großer innovativer Wurf in die Bayreuther Geschichte eingehen wird, so wird wohl auch das TSVG nicht die gesundheitspolitische Ultima Ratio in der Bewältigung des Versorgungsproblems der nächsten Jahrzehnte sein.

Herzliche Grüße aus dem Berliner Sommerloch!

Sabine Lingelbach

Geschäftsführerin