EDITORIAL Das Jahr der WANZe - oder wie die AOK die Therapiefreiheit angreift
Freitag, 02. September 2016
Info 09-16

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

im Berliner Raum  versucht die AOK Nordost den Kollegen Kontrastmittel mit niedrigeren Kosten, z.B. durch Substitution anderer als das verordnete Kontrastmittel, zu verabreichen. Zu diesem Zweck verschickt sie Briefe an die Radiologen und weist auf das Wirtschaftlichkeitsgebot hin. Sie rechnet den Kollegen vor, wieviel zigtausend  Euro sie im Vergleich zur AOK-Empfehlung mehr an Kosten verursacht haben und hängt die Bemerkung an, dass eine abschließende Bewertung zur Wirtschaftlichkeit erst noch erfolgt. Manche sehen das als mehr oder weniger subtile Bedrohung an. Andere werden sagen, hat das Primat der Ökonomie den Wähler in seiner Eigenschaft als Patient erreicht.

Richtig ist, dass im gesetzlichen Solidarversicherungssystem das Gebot der WANZe: wirtschaftlich, ausreichend, notwendig, zweckmäßig und Ende einen gewissen Sinn macht. Die Frage ist, an welcher Stelle? In diesem Fall wird die Therapiefreiheit der Radiologen aus Wirtschaftlichkeitsgründen existenziell angegriffen. Mit den Schreiben der AOK wendet sie sich hauptsächlich gegen höherpreisige Kontrastmittel, im Wesentlichen makrozyklische Originalpräparate. Abgesehen davon, dass in sehr seltenen Fällen eine Kontrastmittelgabe (auch bei MRT-Kontrastmittel) originär zum Tode des Patienten führen kann, gibt es weitere Aspekte zu beachten. Die Information über nephropathische Veränderungen nach Kontrastmittelanwendung oder die jetzt in der Presse breitgetretenen Gadolinium-Ablagerungen im Hirn müssen in die sorgfältige  Indikationsstellung zur Kontrastmittelgabe einbezogen werden. Wenn der Radiologe hier zu der Meinung kommt, das andere  Kontrastmittel möglicherweise ein höheres Risiko beinhalten, ist er verpflichtet, im Interesse des Patienten seinem Gewissen zu folgen.  Die Verantwortung  trägt allein er. Bei Spätschäden nach Kontrastmittelgabe unter Nichtbeachtung dieser Kriterien ist die AOK die erste, die ihren „geschädigten" Patienten mit subjektiver Beratung gegen die Radiologen beisteht. Die Therapiefreiheit zum Wohle unserer Patienten steht über dem Wirtschaftlichkeitsgebot, wenn dies einen potentiellen Patientenschaden beinhalten kann. Wenn wir hier einknicken, werden wir in Zukunft weitere solcher

„Substitutionsbestrebungen" erleben. Dann werden wir nach Gusto der Krankenkassen oder deren medizinischem Dienste die wirtschaftlichsten, sprich  billigsten und möglicherweise auch einfachsten Medikamente verordnen und dafür das alleinige Risiko gegenüber den Patienten und den eifrigen Juristen tragen. Mit der diskreten Drohung der Wirtschaftlichkeitsprüfung  bzw. des Regresses gegenüber den Radiologen hat die AOK  eine rote Linie überschritten. Sie kann sich nicht darauf zurückziehen, keine Informationen zum Thema Verträglichkeit, Nephropathie und Gadolinium gehabt zu haben, da die Protagonisten des Berufsverbandes im Berliner Raum sich vielfach gegenüber den Kassen und der KV Berlin  zu diesem Thema geäußert haben. Hier obsiegt die Ideologie über Argumente. Es stünde der Gesundheitskasse gut zu Gesicht, hier moderater zu agieren, auch wenn dann weniger Geld für Wohlfühlmedizin im Wettbewerb  unter vielen verschiedene Krankenkassen, z.B. für die Behandlung altersphysiologischer Beschwerden oder für die Akupunktur, zur Verfügung steht.

Liebe KollegInnen, bitte folgen Sie in dieser Frage Ihrem Wissen und Gewissen und seien Sie versichert, dass wir uns weiterhin intensiv für unsere Therapiefreiheit  zum Nutzen der Patienten einsetzen.