Von Masthuhn bis Monroe Wie Röntgenstrahlen die Sicht auf Mensch und Welt verändert haben
Montag, 10. November 2025
Klein wirkt Andreas Greiner neben dem Kunst-Huhn im Maßstab eins zu zwanzig in der riesigen Industriehalle der Völklinger Hütte. Aus bald acht Metern Höhe schaut der Skelett-Schädel des nachgebildeten Vogels auf ihn herunter. „Das ist ein Tier, das einen Großteil der Menschen auf dieser Welt ernährt“, erklärt der Berliner Künstler sein Werk. Dafür hatte er ein im Mastbetrieb gestorbenes Huhn im Charité-Krankenhaus röntgen lassen und sein Skelett mittels 3-D-Drucker übergroß reproduziert.

Das Tier starb demnach aufgrund eines Knöchelbruchs, wohl eine Folge von zu viel Gewicht durch gezielte Fütterung auf verkaufbare Fleischmasse. „Ohne Menschen gäbe es solche Masthühner nicht“, sagt Greiner in der saarländischen Industriestadt Völklingen. Der Künstler ist dort Teil einer umfassend angelegten Ausstellung über die Entdeckung der Röntgen-Strahlen.

Der deutsche Physiker und Hochschullehrer Wilhelm Conrad Röntgen (1845-1923) entdeckte diese am 8. November 1895 im Physikalischen Institut der Universität Würzburg als sogenannte „X-Strahlen“, daher der Name der Schau: „X-RAY - Die Macht des Röntgenblicks“.

Nobelpreis für Wilhelm Conrad Röntgen

Wenige Jahre später erhielt Röntgen den Nobelpreis für Physik - den ersten überhaupt, wie der Generaldirektor des Weltkulturerbes, Ralf Beil, bei einer Vorbesichtigung vor Museumsführern und Gästen betont. Die Folgen seien kaum zu überschätzen. Es folgte eine Bild-, Wissens- und Kulturrevolution, so Beil. Auf 6.000 Quadratmetern lässt sich ein Eindruck davon gewinnen. Fast 80 Künstler, Wissenschaftler, Architekten, Fotografen und Vertreter weiterer Bereiche aus weltweit 27 Staaten sind Teil der Schau.

Zu sehen sind ab Sonntag in den historischen Gebläse- und Verdichterhallen des früheren Werksgeländes etwa ein Nachbau des Labors des deutschen Entdeckers und Röntgenteleskop-Satelliten und Röntgenwagen-Modelle, ein gläserner Mensch, zudem zahlreiche, teils raumgreifende, Bilder, Fotografien und Grafiken sowie Skulpturen. Besucher sollten ausreichend Zeit einplanen, wollen sie auch die in Nischen und im Untergeschoss verborgenen Exponate sehen.

Männer sind das Subjekt – Frauen Objekt

„Röntgenstrahlen haben die Sichtbarkeit der Welt erhöht“, unterstreicht Beil. Vorher Unsichtbares konnte nicht betrachtet werden - vor Blicken Geschütztes war nun dem Betrachter offenbart. Neben der Kunst, Forschung und Medizin spielt auch die Gesellschaftskritik eine große Rolle in der Völklinger Ausstellung. Wie auch der Sexismus.

Denn vor allem die Frauenkörper weckten nach Darstellung der Veranstalter reges Interesse meist männlicher Betrachter. Die Röntgenstrahlen boten ihnen vermeintlich spektakuläre Einblicke. Entsprechende Fotos zeugen davon. „Die Männer sind das Subjekt und die Frau ist das Objekt“, beschreibt der Museumsdirektor.

Röntgenbild präsentiert Marilyn Monroe

Auch ein Röntgenbild der US-Schauspielikone Marilyn Monroe wird präsentiert, das einst für 40.000 Dollar versteigert wurde. Beil: „Das ist natürlich Ausdruck von Sexismus.“ Denn die intimen Körperformen der Monroe ließen sich auf dem Bild ablesen. Weitere künstlerisch präsentierte Persönlichkeiten sind NS-Diktator Adolf Hitler und US-Präsident Donald J. Trump.

Gezeigt werden außerdem drei „geröntgte“ Pokerspieler des britischen Fotografen und Künstlers Nick Veasey und das Filmposter zum amerikanischen Science-Fiction-Horrorfilm „X: The Man with the X-ray Eyes“ (Der Mann mit den Röntgenaugen). Die Ausstellung zeigt darüber hinaus die frühen Entwicklungsschritte der Röntgentechnik.

„Eine Ausstellung von Weltrang“

Es sei die erste Präsentation überhaupt, die sich so umfassend dem Phänomen der Röntgenstrahlen und den kulturellen Aspekten des Röntgenblicks widme, teilten die Verantwortlichen im Vorfeld mit. „Eine Ausstellung von Weltrang“ sei entstanden, die Medizin und Kunst zusammenführe, sagt Saarlands Wirtschaftsstaatssekretärin Elena Yorgova-Ramanauskas bei einem Besuch im Museum.

Ihr Ministerium fördere X-Ray finanziell, da das Saarland solche „kulturellen Leuchttürme“ als weiche Standortfaktoren betrachte. Zu sehen ist die Schau bis 16. August 2026.

 

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